Allgemein
Die Kampen-Metamorphose: Wie das Reetdach den Reichtum anlockte

Vom stillen Rückzugsort für Maler zum Epizentrum des „Sehen und Gesehen werdens“ – eine Sylter Verwandlung.
Wenn man heute an Kampen auf Sylt denkt, hat man sofort Bilder im Kopf: Glänzende Sportwagen, die im Schritttempo über die „Whiskymeile“ (Strönwai) rollen, das Klirren von Champagnergläsern im „Pony“ und Boutiquen, bei denen ein Blick auf das Preisschild den Blutdruck erhöht.
Kampen ist das Synonym für deutschen Luxus. Doch das war nicht immer so. Dieses Dorf hat zwei Gesichter, und das erste hätte sich sein heutiges niemals träumen lassen.
Gesicht 1: Die karge Idylle (ca. 1900-1940)
Man muss sich das vorstellen: Bis ins frühe 20. Jahrhundert war Kampen bitterarm. Es war ein landwirtschaftlich geprägtes Dorf, das isoliert auf der kargen Heide thronte. Es gab keinen Jetset (bevor „Jetset“ überhaupt ein Wort war), es gab hauptsächlich Schafe, Wind und das Rote Kliff.
Genau diese raue, unberührte Stille zog ab den 1920er Jahren eine völlig andere Klientel an: Künstler, Intellektuelle und Verleger.
Persönlichkeiten wie der Schriftsteller Thomas Mann oder der Maler Emil Nolde suchten hier nicht den Trubel, sondern das genaue Gegenteil. Sie kamen wegen des legendären „Sylter Lichts“, der dramatischen Natur und – man muss es so sagen – weil es günstig war. Kampen wurde zu einer veritablen Künstlerkolonie, einem Rückzugsort für die kreative Bohème.
Um diese Idylle zu schützen (man munkelt, um es vor einer „Verstädterung“ wie in Westerland zu schützen), erließ die Gemeinde 1913 eine revolutionäre Bauordnung: Jedes neue Haus musste ein Reetdach und Klinkerfassade haben.
Ein Beschluss, der die Ursprünglichkeit bewahren sollte. Und der, ironischerweise, zum teuersten Schildbürgerstreich der Inselgeschichte wurde.
Gesicht 2: Der reiche Laufsteg (ca. 1950 – Heute)
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam das deutsche Wirtschaftswunder, und mit ihm kam ein völlig neues Publikum nach Sylt. Die stillen Denker und Maler wurden langsam, aber sicher von den lauten Machern verdrängt.
Die 1960er Jahre, angeführt von Playboys wie Gunter Sachs, machten Kampen legendär. Der Fokus verschob sich vom Malen aufs Feiern. Wo Thomas Mann die „ungeheure Weite“ des Meeres genoss, genoss der Jetset nun die ungeheure Dichte im Nachtclub.
Die strenge Bauordnung von 1913 erwies sich nun als unfreiwilliger Brandbeschleuniger für Exklusivität. Plötzlich war das „arme“ Reetdach das Markenzeichen des Luxus. Die Vorschrift verhinderte Wachstum in die Höhe und sorgte für ein malerisches, aber eben auch extrem begrenztes Dorfbild.
Die Nachfrage explodierte, das Angebot blieb künstlich knapp. Die Miete für ein Reetdachhaus unter der Heide überstieg das Jahresgehalt eines Malers nun um ein Vielfaches.
Das Erbe: Wo Kunst auf Kaviar trifft
Heute lebt Kampen von genau dieser bizarren Metamorphose. Es ist der vielleicht einzige Ort der Welt, in dem die teuersten Luxusmarken der Welt ihre Filialen freiwillig in scheinbar bescheidenen, reetgedeckten Friesenhäusern verstecken.
Das Dorf pflegt sein Erbe mit einem Augenzwinkern: Der „Kampener Kunstpfad“ erinnert heute mit Bronzetafeln an die alten Künstler und Denker. Man kann also auf den Spuren von Emil Nolde wandeln, während man im Strönwai (der „Whiskymeile“) darüber nachdenkt, ob die neue Uhr zum Cabrio passt.
Kampen hat es geschafft: Es hat die Stille der Vergangenheit in den Luxus der Gegenwart verwandelt.
 
				




 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
														