Sylt News
Ach, Frankfurt! Wenn das Heimweh nach Sylt aufblasbare Tetrapoden auf der Hauptwache gebiert

Ein liebevoller Gruß von der Insel an die Mainmetropole, die unsere sturmgeprüften Wellenbrecher jetzt als Kunst feiert – nur die wahren Helden haben sie verwechselt.
Moin, liebes Frankfurt,
man hat uns da was zugetragen. Hier auf der Insel, Sie wissen ja, wie das ist. Der Wind trägt so manches herüber. Normalerweise ist es Salzgischt, der Geruch von Tang oder das ferne Rauschen der Brandung. Aber manchmal, da trägt der Wind auch Nachrichten vom Festland zu uns. Und diese Woche, so hörten wir beim Klönschnack im Dorfkrug, trägt der Wind eine ganz besonders rührende Kunde aus dem Herzen Hessens.
Ihr habt euch unsere Tetrapoden geholt.

Mitten auf die Hauptwache habt ihr sie gestellt. Wir mussten ja doch schmunzeln. Da, wo bei euch die U-Bahnen im Minutentakt durch die Schächte rauschen und das „Großstadtgetümmel“ (wie ihr das so schön nennt) pulsiert, da, wo die Bankentürme in den Himmel ragen und der Asphalt die einzige verlässliche Konstante ist, genau da habt ihr euch jetzt ein Stück Sylt aufgebaut.
Natürlich nicht unsere Tetrapoden. Das ginge ja gar nicht. Eure sind, wie wir hörten, aus Luft. Aufblasbar.
Ach, Frankfurt. Dein Herz ist so oft hier bei uns, nicht wahr?
Die Sehnsucht der Metropole
Wir kennen das ja. Spätestens ab Juni füllt sich der Hindenburgdamm mit den Limousinen, auf deren Kennzeichen ein „F“ prangt. Der Frankfurter an sich ist ja ein besonderer Gast. Er kommt aus einer Welt der Zahlen, der Kurse, der Deadlines. Er steigt aus seinem Auto, atmet einmal tief diese salzige Luft ein, und man kann ihm förmlich dabei zusehen, wie seine Schultern zwei Zentimeter tiefer sinken.
Er braucht diesen rauen, ehrlichen Wind als Kontrastprogramm zur klimatisierten Büroluft im 28. Stock. Er liebt die Weite des Weststrands, er liebt die Stille der Braderuper Heide und er liebt das Gefühl, am Ellenbogen zu stehen und zu wissen: Nördlicher geht es nicht.
Und jetzt? Jetzt ist Ende Oktober. Die Saison ist vorbei. Die Stürme kehren zurück. Und was passiert in Frankfurt? Das Heimweh bricht aus. Es bricht so gewaltig aus, dass die Stadt sich nicht anders zu helfen weiß, als sich ihre eigenen Sylt-Ersatzteile auf den zentralen Platz zu stellen.
Die Künstler und ihre „kollektive Reflexion“
Nun wollen wir ja nicht ungerecht sein. Es ist ja Kunst. „BYCATCH“ heißt die Installation, von Abie Franklin & Daniel Hölzl. Das haben wir auf dem Schild gelesen, das uns ein Gast per Handyfoto geschickt hat.
Die beiden Künstler meinen das ja auch ganz tiefgründig. Sie wollen ein „Zeichen für die Überwindung von Grenzen“ setzen. Sie wollen, dass der Ort zu einer „Begegnungsstätte für kulturellen Austausch und kollektive Reflexion“ wird.
Sehen Sie, und da mussten wir wieder schmunzeln. „Kollektive Reflexion“! Das ist es also, was ihr in der Stadt macht, wenn ihr auf aufblasbare Betonnachbildungen schaut. Bei uns auf Sylt nennen wir das „Sturm-Watching“.
Wir stellen uns an die Promenade, lassen uns die Gischt ins Gesicht peitschen, bis die Lippen salzig schmecken, und „reflektieren kollektiv“ darüber, ob die Decke im Lieblingscafé gleich noch frei ist.
Die Künstler schreiben, sie „greifen das Volumen und die ursprünglichen Formen auf und transformieren sie, indem das Material von verschmutzendem Beton zu Luft wird.“ Luft! Wie wunderbar. Sie wollen „Widerstandsfähigkeit“ erzeugen, indem sie „interagieren, statt sich zu widersetzen.“
Das ist ein schöner Gedanke. Wirklich. Er funktioniert nur bei uns nicht.
Die Originale: Hörnums Kämpfer und Westerlands Rentner
Wenn hier eine ausgewachsene Sturmflut auf die Küste trifft, können wir nicht „interagieren“. Wir können nicht höflich bitten, dass die Nordsee doch bitte woanders spielen möge. Wir müssen uns widersetzen.
Und wenn Sie sehen wollen, wie echter Widerstand aussieht, liebes Frankfurt, dann müssen Sie nach Hörnum fahren. An die Südspitze, die Odde. Dort liegen unsere aktiven Helden. Tonnenschwer, verkeilt, unerschütterlich. Sie sind die Bodyguards des Südkaps. Sie haben keine Zeit für künstlerische Reflexion, sie haben einen Job: die Insel zu halten. Sie sind rau, rissig und voller Seetang.
Das ist die pure, funktionale Kraft, die ihr in eurer Installation zitiert.
Aber, und jetzt kommt der Punkt, den ihr komplett übersehen habt: Diese rohe Kraft ist nur die halbe Wahrheit von Sylt. Ihr habt die Seele vergessen. Den Humor.
Dafür müsstet ihr nach Westerland fahren. In den Süden, hinter die Dünen, dorthin, wo der Deichweg verläuft. Dort stehen sie: eine Gruppe Tetrapoden-Veteranen. Sie wurden längst „außer Dienst gestellt“. Sie haben ihren Kampf gekämpft und genießen jetzt ihren Ruhestand im Windschatten der Dünen.
Und diese Rentner, liebes Frankfurt, die haben Augen.
Ja, wirklich. Irgendein wunderbarer Insulaner (oder vielleicht war es ein Gast mit zu viel Zeit und einem Eimer Farbe) hat vor Jahren angefangen, den alten Recken große, runde Kulleraugen aufzumalen.
Sie sind die mürrischsten, liebenswertesten Wächter der Insel.
Sie schauen griesgrämig auf die Spaziergänger. Sie blicken verwundert auf die Radfahrer, die gegen den Wind ankämpfen. Sie haben alles gesehen. Stürme, Sonnenanbeter, den Wandel der Insel. Sie sind der lebende Beweis, dass „Widerstandsfähigkeit“ auf Sylt nicht nur funktional ist, sondern am Ende vor allem eines wird: Charakter.
Eine liebevolle Einladung
Wir verstehen euch ja, liebe Frankfurter. Wir verstehen die Künstler Abie Franklin und Daniel Hölzl. Es ist eine schöne Idee, die Härte des Betons in die Leichtigkeit der Luft zu verwandeln. Eure aufblasbaren Tetrapoden, durch die man hindurchschauen kann, um das „abendliche Großstadtgetümmel“ zu betrachten, sind eine rührende Sehnsuchts-Skulptur.
Es ist eine Metapher. Ihr habt die Form unserer Kämpfer aus Hörnum kopiert.
Aber ihr habt den Humor unserer Veteranen aus Westerland vergessen.
Genießt eure Kunst. Interagiert mit ihr. Reflektiert kollektiv. Aber wenn euch das nicht mehr reicht; wenn ihr wieder das Original braucht; wenn ihr den echten Wind spüren wollt, der an echtem Beton zerrt, und nicht nur die Luft aus einem Gebläse; wenn ihr wieder das Salz auf euren Lippen schmecken wollt – dann kommt zurück.
Wir sind hier. Wir warten auf euch.
Und unsere griesgrämigen Rentner in Westerland? Die behalten euch im Auge.
Herzlichst,
Ihre Insel.
 
				




 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
									
 
														