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Einführung des Bürgergeldes in Nordfriesland zum 1. Januar: Licht und Schatten
Ab dem 1. Januar wird auch im Jobcenter Nordfriesland das Bürgergeld eingeführt. Es löst das Arbeitslosengeld II ab. Landrat Florian Lorenzen und der Leiter des Jobcenters, Axel Scholz, stellten die Neuerungen am 13. Dezember in einem Pressegespräch im Husumer Kreishaus vor. »Der Bundesgesetzgeber hat die Förderung der Langzeitarbeitslosen nicht komplett auf den Kopf gestellt«, erläutert Verwaltungschef Lorenzen. Trotzdem gebe es eine ganze Reihe deutlicher Veränderungen.
Die erste betrifft die Erhöhung des Regelsatzes um 53 Euro. Damit erhält der Haushaltsvorstand einer Bedarfsgemeinschaft statt bisher 449 Euro jetzt 502 Euro monatlich. Hinzu kommen die Kosten der Unterkunft und der Heizung. Auch die Höhe des Regelsatzes für die anderen Haushaltsmitglieder steigt an, abhängig von ihrem Lebensalter.
In Politik und Medien wurde viel diskutiert, ob Arbeit sich angesichts dieser Erhöhung noch lohnt. Axel Scholz zweifelt nicht daran: »Die Löhne steigen ja ebenfalls, auch der Mindestlohn wurde bereits auf zwölf Euro angehoben. Der deutliche Unterschied zwischen der staatlichen Unterstützung und den niedrigsten Löhnen bleibt also auch zukünftig gewahrt.« Scholz weist darauf hin, dass die stark gestiegenen Kosten für Strom und die Inflation auch die Langzeitarbeitslosen treffen. Einen Inflationsgleich habe es bisher ohnehin regelmäßig gegeben. Angesichts der explodierenden Strompreise sei die Erhöhung der Regelsätze nicht übertrieben großzügig ausgefallen.
Eine erhebliche Veränderung gibt es bei der Höhe des anzurechnenden Vermögens: Ab dem 1. Januar liegt sie bei 40.000 Euro für den Haushaltsvorstand zuzüglich 15.000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied und damit wesentlich höher als vor der Corona-Pandemie. Mit dieser Erhöhung will der Gesetzgeber seine Wertschätzung für die Lebensleistung in Not geratener Bürger zum Ausdruck bringen. Ein Single mit 50.000 Euro auf dem Konto müsste also von seinen Ersparnissen leben, bis diese auf 40.000 Euro abgeschmolzen sind. Danach kann er das Bürgergeld beantragen.
Größere Freiheit billigt der Bund den Betroffenen auch zu, indem er den Vorrang der Vermittlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung streicht. Bisher konnte ein Jobcenter seinen Kunden die Mittel kürzen, wenn sie einen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnten und stattdessen beispielsweise eine Qualifizierungsmaßnahme beantragten, um einem bestimmten beruflichen Ziel näherzukommen. »Diese Sanktionsmöglichkeit haben wir jedoch kaum in Anspruch genommen«, betont Axel Scholz. »Uns war immer klar, dass man Menschen nicht gegen ihren Willen in Arbeit vermitteln kann. Wir haben stets größten Wert auf eine dauerhafte Beschäftigung gelegt.« Und tatsächlich seien 63 Prozent der in Nordfriesland Vermittelten nach sechs Monaten noch im Job – eine Quote, die längst nicht jedes Jobcenter erreiche.
Als letzte größere Veränderung wird ab dem 1. Januar eine sogenannte Bagatellgrenze von 50 Euro eingeführt: Zu viel gezahlte Leistungen unter diesem Betrag werden dann nicht mehr zurückgefordert. Das passiert insbesondere bei schwankenden Einkommen, die bis zum Regelsatz aufgestockt werden. Oft können Betroffene am Monatsanfang gar nicht einschätzen, wie viel sie am Monatsende verdient haben werden. »Diese Neuerung begrüßen wir sehr. Rückforderungen lösen in der Verwaltung einen Verwaltungsaufwand aus, der in jedem Fall teurer als 50 Euro ist. Deshalb ist es für den Steuerzahler wirtschaftlicher, in solchen Ausnahmefällen auf geringe Summen zu verzichten«, erklärt Scholz.
Ein Streitpunkt war die Frage, ob die Jobcenter weiterhin Sanktionen aussprechen sollen, wenn Langzeitarbeitslose Beratungstermine versäumen, Qualifizierungsmaßnahmen oder Arbeitsplätze ablehnen. Laut der neuen Regelung können die Jobcenter beim ersten Mal zehn Prozent der Bezüge kürzen, beim zweiten Mal 20 Prozent, beim dritten 30 Prozent und so weiter.
Eine Änderung, die viele Menschen beruhigen wird, die erstmals das Bürgergeld beantragen, betrifft die Mietobergrenzen. Die Jobcenter sind verpflichtet, den Wohnungsmarkt in ihrer Region zu beobachten. Sie müssen zumutbare Mietobergrenzen ermitteln, damit sie ihre Kunden verpflichten können, in günstige Wohnungen umzuziehen. Viele Jahre lang konnten die Behörden höhere Mietzahlungen nur für höchstens sechs Monate übernehmen, danach war ein Umzug fällig. Während der Corona-Zeit wurde die Frist auf zwei Jahre ausgedehnt, künftig liegt sie bei einem Jahr.
Andere Bestandteile der Gesetzesreform treten erst zum 1. Juli 2023 in Kraft. Dazu gehört die Einführung sogenannter Kooperationspläne: Jobcenter und Kunde sollen auf Augenhöhe Ziele vereinbaren, die konkret, messbar, attraktiv, realistisch und mit Terminen versehen sind. Sanktionen sind dabei nicht vorgesehen. »So ähnlich haben wir es schon immer gemacht, nur hießen die Pläne bei uns Eingliederungsvereinbarungen«, erklärt Axel Scholz. Die neuen Pläne sollen allerdings in noch kleineren Schritten und in möglichst einfacher Sprache abgefasst sein. »Doch im Kern schreibt der Gesetzgeber nun allen Jobcentern in Deutschland eine Arbeitsweise vor, die wir bereits seit 2005 anwenden und die wir als den nordfriesischen Weg bezeichnen«, sagt Scholz.
Nordfriesische Langzeitarbeitslose können vom Bürgergeld also moderate Verbesserungen ihrer Situation erhoffen. Einen großen Haken haben die neuen Regelungen auf Bundesebene jedoch: Der Bund kürzt den Jobcentern die Mittel für Qualifizierungsmaßnahmen ihrer Kunden. Betrug das sogenannte Eingliederungsbudget für den Kreis Nordfriesland im Jahr 2022 noch 16,5 Millionen Euro, werden es ab dem kommenden Jahr rund 820.000 Euro weniger sein. »Diese Kürzung um fünf Prozent wird sich definitiv spürbar auswirken«, stellt Landrat Florian Lorenzen fest. Denn der beste Kooperationsplan nütze nichts, wenn das Jobcenter seinem Kunden weder eine Qualifizierungsmaßnahme noch ein Praktikum oder einen Lohnkostenzuschuss finanzieren kann.
Weiter verschärft würde diese Situation, falls erneut eine größere Anzahl von Kriegsvertriebenen aus der Ukraine nach Deutschland fliehen sollte. Sie haben fast unmittelbar Anspruch auf die gleiche Behandlung wie deutsche Langzeitarbeitslose, benötigen aber zunächst Sprachkurse – für die dann möglicherweise das Geld fehlt.
Andere Ausländer können nach dem neuen Chancen-Aufenthaltsrechtsgesetz ihre Überführung in das Bürgergeld beantragen, wenn sie seit fünf Jahren offiziell in Deutschland geduldet werden. Dann haben die Jobcenter 18 Monate Zeit, sie in den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Misslingt dies, fallen sie automatisch wieder unter das Asylbewerberleistungsgesetz, in dem der Höchstsatz für den Lebensunterhalt 10 Prozent unter dem Bürgergeld liegt. »Da ist viel Frustration programmiert, wenn der Bund sich nicht doch noch entschließt, die Mittel bedarfsgerecht zu erhöhen«, unterstreicht Verwaltungschef Lorenzen.
Auch die Regelsätze für Menschen, die Grundsicherung im Alter oder wegen Erwerbsunfähigkeit beziehen, werden ab dem 1. Januar auf das Niveau des Bürgergeldes angehoben. Damit können sich weitere rund 2.400 Personen in Nordfriesland über eine etwas höhere staatliche Unterstützung freuen. Ihnen billigt der Gesetzgeber jedoch nur einen Vermögensfreibetrag von 10.000 Euro zu. Wenn Senioren mehr besitzen, müssen sie also erst einmal von ihrem Ersparten leben, bis sie diese Grenze unterschreiten.
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