Sylt News
Silberglanz und Schmirgelpapier: Eine Liebeserklärung an das Sylter Licht

Es gibt dieses hartnäckige Gerücht unter Fotokünstlern und Inselverliebten, dass das Licht auf Sylt eine eigene physikalische Dichte besitzt, eine Art silbernen Schimmer, den man sonst nur in den Weiten Skandinaviens findet. Und wer einmal gesehen hat, wie die Nordsee den Himmel nicht nur spiegelt, sondern das Licht förmlich potenziert und als gigantische Softbox über das Land wirft, der weiß: Das ist kein Marketing-Gag der Kurverwaltung, das ist echte Inselmagie. Doch wer nun glaubt, er müsse nur im August mittags um zwölf auf den Auslöser drücken, um dieses Wunder einzufangen, der wird sein blaues Wunder erleben – oder eher ein gleißend weißes, kontrastloses. Denn das Sylter Licht ist eine Diva; sie will hofiert werden, und sie zeigt sich am liebsten dann, wenn die meisten Tagesgäste noch beim Frühstück sitzen oder schon beim ersten Glas Wein.
Die vielleicht größte Ironie für den geneigten Lichtjäger ist dabei die Wahl der Jahreszeit. Wir alle lieben den Sommer, das Strandkorb-Gefühl und die warmen Nächte. Aber fotografisch gesehen? Ein Albtraum aus hartem Licht und kurzen Schatten. Der wahre Connaisseur reist an, wenn es ungemütlich wird. Zwischen Oktober und März, wenn die anderen über Schietwetter klagen, feiert der Fotograf ein Fest. Dank der nördlichen Lage schafft es die Sonne dann kaum über die Deichkante und taucht die Insel in ein dauerhaftes, schmeichelndes Streiflicht. Was im Sommer als „Goldene Stunde“ nur wenige Minuten währt, zieht sich im Winter wie Kaugummi über den ganzen Nachmittag. Die Schatten werden lang, die Dünen plastisch, und man muss sich nicht einmal hetzen.
Wer dem Licht hinterherjagt, entwickelt auf Sylt schnell einen eigenen Rhythmus, der sich wunderbar gegen den Strom der Massen bewegt. Der Tag beginnt idealerweise im Osten, und ja, das tut weh, wenn der Wecker klingelt. Aber wenn man am Morsum Kliff steht und die ersten Strahlen die roten Erdschichten zum Glühen bringen, ist die Müdigkeit vergessen. Oder in Keitum, wenn das Wattenmeer bei Ebbe zur spiegelglatten Bühne wird und die alten Reetdachhäuser im Morgenlicht so friedlich wirken, als wüssten sie nichts von den Immobilienpreisen, die auf ihnen lasten. Hier, an der Wattseite, ist das Licht leise, fast meditativ.
Sobald die Sonne höher klettert, lohnt sich die Flucht an die Enden der Insel. Oben am Ellenbogen in List oder unten an der Hörnum Odde wird das Spiel rauer. Hier ist das Licht klar, fast chirurgisch präzise. Es ist die Zeit, um die Strukturen zu suchen: den wilden Strandhafer, der sich im Wind biegt, oder die massiven Tetrapoden, die wie gefallene Riesen im Sand liegen. Hier zeigt sich Sylt von seiner ungezähmten Seite, und das Licht hilft dabei, jede Sandrippe und jede Schaumkrone herauszuarbeiten.
Das große Finale findet aber natürlich im Westen statt, dem Broadway der Sonnenuntergänge. Das Rote Kliff in Kampen trägt seinen Namen nicht umsonst; eine Stunde bevor die Sonne im Meer versinkt, fängt die Wand an zu leuchten, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Es ist ein Schauspiel, das sich täglich wiederholt und doch nie langweilig wird. Und wer danach noch stehen kann und nicht vom Wind verweht wurde, der bleibt für die „Blaue Stunde“ an der Promenade. Wenn sich das warme Licht der Laternen mit dem tiefen Restblau des Himmels mischt und das Wasser durch eine Langzeitbelichtung zu mystischem Nebel verschwimmt, entstehen jene Bilder, die man sich später übers Sofa hängt.
Doch bei aller Romantik, ein kleines Augenzwinkern sei erlaubt: Sylt ist schön, aber es ist auch eine geologische Schmirgelpapier-Fabrik. Der feine Flugsand kriecht in jede Ritze, in jedes Gewinde und liebt Kamerasensoren fast so sehr wie wir das Licht. Ein UV-Filter vor der Linse ist also keine Option, sondern Lebensversicherung für das Glas, und ein Putztuch ist wichtiger als die Speicherkarte. Wer diese Regeln beachtet und bereit ist, die Mittagssonne lieber für ein Fischbrötchen zu nutzen als für Fotos, der wird belohnt werden. Mit Bildern, die nicht einfach nur eine Insel zeigen, sondern dieses ganz spezielle Gefühl, wenn der Wind, das Salz und das Licht für einen kurzen Moment perfekt zusammenspielen.


















































































































